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Zusammengesetzte Übertragungsglieder

PT1-Glied

Das PT1-Glied ist über die Differentialgleichung

(9.77)

definiert. Die Konstante K wird als stationäre Verstärkung, die Konstante T > 0 wird als Zeitkonstante des Systems bezeichnet. Das Strukturbild der Regelungstechnik und die vereinfachte symbolische Darstellung sind in Bild 9.25 dargestellt.

 

Bild 9.25: Grafische Darstellung des PT1-Glieds, Strukturbild der Regelungstechnik und symbolische Darstellung

Durch Integration der Differentialgleichung ergibt sich bei verschwindenden Anfangsbedingungen y(0) = 0 die Gleichung

(9.78)

Auflösen nach y(t) führt zu

(9.79)

Das PT1-Glied kann nach Gleichung(9.79) als Kombination von elementaren Übertragungsgliedern dargestellt werden. Das entsprechende Strukturbild ist in Bild 9.26 dargestellt.

Bild 9.26: Kombination von elementaren Übertragungsgliedern zu einem PT1-Glied

Beschreibung im Zeitbereich

Ein PT1-Glied mit der Differentialgleichung

(9.80)

besitzt eine Sprungantwort

(9.81)

Sie beginnt an der Stelle t = 0 mit h(0) = 0 und konvergiert für t → ∞ zu dem Wert

(9.82)

Die Sprungantwort besitzt zum Zeitpunkt t = 0 die Ableitung

(9.83)

Die Tangente von h(t) an der Stelle t = 0 schneidet damit die Gerade mit dem stationären Endwert an der Stelle t = T. Zum Zeitpunkt t = T weist die Sprungantwort außerdem 63 % der Sprunghöhe auf.

(9.84)

Diese charakteristischen Eigenschaften können zur grafischen Konstruktion der Sprungantwort oder zur Bestimmung der Parameter K und T bei gegebener Sprungantwort verwendet werden. Die Sprungantwort ist in Bild 9.27 mit den entsprechenden Konstruktionshilfen dargestellt.

Bild 9.27: Sprungantwort eines PT1-Glieds

An der grafischen Darstellung der Sprungantwort wird deutlich, dass das System mit sinkender Zeitkonstante T schneller einschwingt.

Übertragungsfunktion im Laplace-Bereich

Durch Transformation von Gleichung 9.80 in den Laplace-Bereich ergibt sich die Übertragungsfunktion

(9.85)

Die Übertragungsfunktion hat einen Pol an der Stelle s = - 1/T. Das Pol-Nullstellen-Diagramm ist in Bild 9.28 dargestellt.

Bild 9.28: Pol-Nullstellen-Diagramm eines PT1-Glieds

Je weiter der Pol von dem Koordinatenursprung entfernt ist, desto kleiner ist die Zeitkonstante T des Systems. Zur Bewertung des Einschwingverhaltens von Systemen mit mehreren Polen ist der Partialbruch von Interesse, dessen Systemantwort am langsamsten einschwingt. Zu diesem Partialbruch gehört der Pol, der am nächsten am Koordinatenursprung liegt.

Frequenzgang

Das PT1-Glied ist stabil. Der Frequenzgang des PT1-Glieds kann damit aus der Übertragungsfunktion G(s) durch die Substitution s = j⋅ω bestimmt werden.

(9.86)

Das PT1-Glied hat einen Amplitudengang von

(9.87)

Der Amplitudengang in dB ergibt sich aus

(9.88)

Der erste Summand ist der Amplitudengang eines Proportionalglieds. Für Frequenzen ω << 1/T kann bei dem zweiten Summanden die Abhängigkeit von der Kreisfrequenz ω vernachlässigt werden. In dem Bereich ω << 1/T ergibt sich damit der konstante Amplitudengang

(9.89)

Für Frequenzen ω >> 1/T kann bei dem zweiten Summanden in Gleichung (9.88) der Wert 1 vernachlässigt werden. In dem Bereich ω >> 1/T ergibt sich damit die Asymptote

(9.90)

Im Bereich ω >> 1/T fällt der Amplitudengang a(ω) mit - 20 dB/Dekade. An der Stelle ω = 1/T treffen die beiden Asymptoten aufeinander. Der Amplitudengang berechnet sich bei dieser Frequenz zu

(9.91)

beziehungsweise zu

(9.92)

Deshalb werden die Asymptoten des Amplitudengangs an ihrem Schnittpunkt um – 3 dB verrundet.

Der Phasengang eines PT1-Glieds errechnet sich zu

(9.93)

Der Phasengang eines PT1-Glieds mit positivem Verstärkungsfaktor K beginnt für Kreisfrequenzen ω << 1/T bei φ = 0 und endet für Kreisfrequenzen ω >> 1/T bei j = - π/2. An der Stelle ω = 1/T ergibt sich eine Phase von φ = - π/4. Zur Konstruktion des Phasengangs werden zusätzlich Stützstellen verwendet, bei denen die Kreisfrequenz gegenüber 1/T eine Dekade kleiner φ(ω = 0.1/T) = - π/30 und eine Dekade größer φ(ω = 10/T) = - 29/30⋅p ist. Darüber hinaus kann die Wendetangente an der Stelle ω = 1/T konstruiert werden. Sie schneidet die Asymptoten in einer geometrischen Entfernung von 2/3 eine Dekade.Bild 9.29 verdeutlicht die Konstruktion des Bode-Diagramms am Beispiel eines PT1-Glieds mit K = 1 und beliebiger Zeitkonstante T.

Bild 9.29: Bode-Diagramm eines PT1-Glieds mit K = 1

Übergang zu elementaren Übertragungsgliedern

Aus dem PT1-Glied ergibt sich mit dem Grenzübergang T → 0 ein Proportionalglied, denn es gilt:

(9.94)

Bei einem Grenzübergang T → ∞ kann die Zahl 1 in der Summe des Nenners vernachlässigt werden. Es ergibt sich die Übertragungsfunktion

(9.95)

Das PT1-Glied geht für sehr große Zeitkonstanten T in ein Integrierglied über.

Beispiele für PT1-Glieder

Mit einem PT1-Glied lassen sich viele technische Vorgänge zumindest näherungsweise beschreiben. Beispiele sind das Anlaufverhalten von Motoren, Aufheiz- und Abkühlvorgänge und der Druckaufbau in Systemen mit kompressiblen Medien. Das bereits diskutierte RC-Glied ist ebenfalls ein PT1-Glied.

Beispiel: Aufheizvorgang eines Leistungstransistors

Mit einem PT1-Glied lassen sich viele technische Vorgänge zumindest näherungsweise beschreiben. Beispiele sind das Anlaufverhalten von Motoren, Aufheiz- und Abkühlvorgänge und der Druckaufbau in Systemen mit kompressiblen Medien. Das bereits diskutierte RC-Glied ist ebenfalls ein PT1-Glied.

Für die Ansteuerung eines Gebläsemotors wird ein Schalter eingesetzt, der mit einem Feldeffekt-Transistor realisiert wird. Im eingeschalteten Zustand weist der Schalter einen Widerstand RDS auf. Ein Stromfluss durch den Transistor führt zu einer Verlustleistung pEL(t), die den Transistor aufheizt. Es entsteht eine Temperaturdifferenz J zur Umgebung. Der Transistor ist an einem Kühlkörper montiert, der eine Wärmekapazität CTH und einen thermischen Widerstand RTH zur Umgebung aufweist.

Das Aufheizverhalten wird über die Differentialgleichung

(9.96)

beschrieben. Die Transformation der Differentialgleichung in den Laplace-Bereich

(9.97)

führt zu der Übertragungsfunktion

(9.98)

Da die Wärmekapazität CTH und der thermische Widerstand RTH unbekannt sind, wird zur Bestimmung der Werte eine Sprungantwort aufgenommen. Dabei wird ab dem Zeitpunkt t = 0 ein konstanter Strom i(t) erzeugt und die Temperatur J(t) des Kühlkörpers über Thermoelemente erfasst. Es ergibt sich der in Bild 9.31 dargestellte Temperaturverlauf.

Bild 9.31: Temperaturverlauf eines Kühlkörpers nach Einschalten eines konstanten Stroms

Die Leistung berechnet sich aus dem Produkt von Spannungsabfall UDS und Strom i(t). Sie ist konstant und beträgt pEL(t) = 1.2 W. Dem Verstärkungsfaktor K entspricht bei diesem System der thermische Widerstand RTH. Aus der stationären Temperaturerhöhung von J = 24.5 K bei einer Verlustleistung von pEL = 1.2 W ergibt sich ein thermischer Widerstand von

(9.99)

Die Zeitkonstante des Systems ergibt sich aus

(9.100)

Die Zeitkonstante entspricht dem Zeitpunkt, an dem 63 % der Sprunghöhe erreicht werden. Aus dem Diagramm ergibt sich

(9.101)

und die Wärmekapazität errechnet sich zu

(9.102)

Das Beispiel zeigt, wie die unbekannten Parameter eines Übertragungssystems über die Sprungantwort h(t) des Systems bestimmt werden können.