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Zusammengesetzte Übertragungsglieder

PT2-Glied

Das PT2-Glied wird über die die Differentialgleichung

(9.131)

beschrieben. Die Konstante K wird als Verstärkung, die Konstante d > 0 als Dämpfungskonstante und die Konstante T > 0 als Zeitkonstante des Systems bezeichnet. Das Strukturbild der Regelungstechnik und die vereinfachte symbolische Darstellung sind in Bild 9.47 dargestellt.

Bild 9.47: Grafische Darstellung des PT2-Glieds Strukturbild der Regelungstechnik und symbolische Darstellung

Auch ein PT2-Glied kann aus elementaren Übertragungsgliedern aufgebaut werden.

Bild 9.48: Kombination von elementaren Übertragungsgliedern zu einem PT2-Glied

Vorüberlegungen zur Diskussion des PT2-Glieds

Das PT2-Glied wird über eine lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten beschrieben. Bei der Diskussion dieser Differentialgleichungen in Abschnitt 5.1.2 Lösung einer Differentialgleichung 2. Ordnung zeigt sich, dass die Lage der Pole α1,2 für die Berechnung des Einschwingverhaltens von wesentlicher Bedeutung sind. Sie wirken sich bereits auf den Ansatz der Partialbrüche aus. Die Pole der Übertragungsfunktion errechnen sich aus der charakteristischen Gleichung

(9.132)

zu

(9.133)

Je nach Dämpfungskonstante d können die beiden Pole unterschiedlich einfach und reell (α1 ≠ α2), doppelt reell (α1 = α2) oder konjugiert komplex (α1 = α2*) sein. Die Zeitkonstante T ist für diese Einstufung unerheblich. Die Diskussion der Eigenschaften eines PT2-Glieds muss deshalb in Abhängigkeit der Dämpfungskonstante d geführt werden. Die unterschiedlichen Pollagen werden als aperiodischer Fall, aperiodischer Grenzfall oder periodischer Fall bezeichnet. Tabelle 9.6 fasst die Bezeichnungen sowie die zugehörigen Pollagen und Dämpfungskonstanten zusammen.

Tabelle 9.6: Klassifizierung der unterschiedlichen Pollagen beim PT2-Glied
Bezeichnung Pollage Dämpfungskonstante d
Aperiodischer Fall Einfache, reelle Pole α 1 ≠ α 2 d > 1
Aperiodischer Grenzfall Doppelte reelle Pole α 1 = α 2 d = 1
Periodischer Fall Konjugiert komplexe Polpaare
α 1 = α 2 *
d < 1

Beschreibung im Zeitbereich

Bei einem PT2-Glied mit der Differentialgleichung

(9.134)

kann die Berechnung der Sprungantwort für d ≥ 1 analog zum Vorgehen in Abschnitt 5.1.2 Lösung einer Differentialgleichung 2. Ordnung durchgeführt werden. Für den aperiodischen Fall (d > 1) ergibt sich mit den Zeitkonstanten T1 und T2

(9.135)

die Sprungantwort

(9.136)

Für den aperiodischen Grenzfall (d = 1) berechnet sich die Sprungantwort zu

(9.137)

Für den periodischen Fall wird die Sprungantwort ausführlich betrachtet. Im Laplace-Bereich kann die Sprungantwort dargestellt werden als

(9.138)

Die Pole der Laplace-Transformierten sind wegen d < 1 konjugiert komplex:

(9.139)

Aufgrund der konjugiert komplexen Polpaare wird für die Partialbruchzerlegung der Ansatz

(9.140)

gewählt. Durch Berechnung der Koeffizienten An kann die Sprungantwort im Laplace-Bereich dargestellt werden als

(9.141)

mit der Phase

(9.142)

Rücktransformation in den Zeitbereich ergibt

(9.143)

Unabhängig von der Dämpfungskonstante d tritt bei der Sprungantwort die Zeit t immer nur als Quotient mit der Zeitkonstante T auf. Aus diesem Grund stellt Bild 9.49 die Sprungantworten von PT2-Gliedern für unterschiedliche Dämpfungskonstanten d mit normierter Zeitachse dar.

Bild 9.49: Sprungantworten von PT2-Gliedern mit unterschiedlicher Dämpfungskonstanten d,
aperiodischer und periodischer Fall

Die Sprungantwort beginnt in allen Fällen an der Stelle h(0) = 0 und erreicht für t → ∞ den Wert h(∞) = K. Im aperiodischen Fall und im aperiodischen Grenzfall steigt sie streng monoton an. Mit sinkender Dämpfung steigt die Geschwindigkeit der Sprungantwort. Der aperiodische Grenzfall zeichnet sich durch maximale Geschwindigkeit der Sprungantwort ohne Überschwingen aus. Im periodischen Fall schwingt die Sprungantwort auf den Endwert h(∞) = K ein. Mit kleinerer Dämpfungskonstante d klingt die Hüllkurve langsamer ab. Für d = 0 wäre die Sprungantwort eine Dauerschwingung.

In der Regelungstechnik wird der periodische Fall des PT2-Glieds als Spezifikationsziel verwendet. Aus diesem Grund werden einige charakteristische Kenngrößen definiert und bestimmt. Sie sind in Bild 9.50 dargestellt.

Bild 9.50: Charakteristische Kenngrößen der Sprungantwort eines PT2-Glieds im periodischen Fall

Ihre Bezeichnung und der Zusammenhang zu den Parametern des PT2-Glieds sind in Tabelle 9.7 zusammengefasst. Die Herleitung dieser Kenngrößen ist Gegenstand einer Übungsaufgabe.

Tabelle 9.7: Charakteristische Kenngrößen der Sprungantwort eines PT2-Glieds im periodischen Fall

Größe Berechnung
Zeitpunkt bis zum ersten Erreichen des stationären Endwertes (Anregelzeit)
Zeitpunkt des Maximums
Maximaler Wert
Maximales Überschwingen
Periodendauer
Zeitpunkt bis zum Erreichen eines Toleranzbandes von ± 2 % des stationären Endwertes (Ausregelzeit)


Der Verlauf der periodischen Sprungantwort kann außerdem zur Identifikation von Parametern des Systems verwendet werden. Dazu wird die abklingende periodische Schwingung analysiert. Die Zeitpunkte t1 und t2 sind Zeitpunkte, an denen die Sprungantwort zwei aufeinanderfolgende Maxima aufweist. Die Maxima liegen um Δh1 und Δh2 über dem stationären Endwert K. Die Herleitung dieser Kenngrößen ist Gegenstand einer Übungsaufgabe.

Tabelle 9.8: Bestimmung der Parameter eines PT2-Glieds im periodischen Fall
Größe Berechnung
Verstärkungsfaktor K
Dämpfungskonstante d
Zeitkonstante T

Übertragungsfunktion im Laplace-Bereich

Durch Transformation von Gleichung (9.131) in den Laplace-Bereich ergibt sich die Übertragungsfunktion

(9.144)

Die Übertragungsfunktion weist keine Nullstellen auf. Die Pole ergeben sich nach Gleichung (9.133) zu

(9.145)

Sie können reell oder konjugiert komplex sein. In Bild 9.51 ist das Pol-Nullstellen-Diagramm dargestellt. Die Zeitkonstante T geht in allen Summanden von Gleichung (9.145) als Faktor ein. Deshalb sind die Achsen des Diagramms mit T normiert.

Bild 9.51: Pol-Nullstellen-Diagramm eines PT2-Glieds
a) Interpretation der Pollage für 0 < d < 1 hinsichtlich Abklingverhalten und Eigenfrequenz
b) Pollage bei variierter Dämpfungskonstante 0 ≤ d ≤ 1.5

Der Zusammenhang zwischen Pollage und Dämpfung sowie Pollage und Eigenfrequenz ist im linken Diagramm für eine feste Dämpfungskonstante 0 < d < 1 dargestellt.

(9.146)

Der Realteil ist für das Abklingverhalten verantwortlich, der Imaginärteil entspricht der Frequenz, mit der das System schwingt. Beide Größen sind von der Dämpfungskonstanten d abhängig. Bei Variation der Dämpfungskonstante d ergibt sich der rechte Teil von Bild 9.51. Der Radius des Kreises entspricht dem Betrag der Pollage und beträgt immer 1/T. Für d = 0 liegen die beiden konjugiert komplexen Pole auf der imaginären Achse. Diese Pollage entspricht einer ungedämpften periodischen Sprungantwort. Für diesen ungedämpften Fall ist die Eigenfrequenz des PT2-Glieds maximal. Sie wird auch als natürliche Kreisfrequenz oder als Kennkreisfrequenz bezeichnet und beträgt

(9.147)

Mit wachsender Dämpfung bewegen sich die beiden konjugiert komplexen Pole auf einer Kreisbahn zur negativen reellen Achse. Mit steigender Dämpfungskonstante d klingt die Schwingung schneller ab und die Frequenz der Schwingung sinkt. Für d = 1 liegen die beiden Pole an der Stelle α = - 1/T aufeinander. Dieser Fall entspricht dem aperiodischen Grenzfall, die Sprungantwort schwingt nicht mehr. Wird die Dämpfung weiter erhöht, bleiben die beiden Pole reell. Einer der beiden Pole bewegt sich in Richtung des Koordinatenursprungs, ohne ihn zu erreichen. Der zweite Pol bewegt sich in negativer Richtung vom Koordinatenursprung weg.

Aus der Betrachtung des PT2-Glieds im Laplace-Bereich ergibt sich außerdem, dass das PT2-Glied für eine Dämpfungskonstante d ≥ 1 als Reihenschaltung von zwei PT1-Gliedern aufgefasst werden kann. Für den Fall d ≥ 1 kann damit eine Umformung wie in Bild 9.52 vorgenommen werden.

Bild 9.52: Substitution eines PT2-Glieds mit d ≥ 1 durch zwei PT1-Glieder

Für den aperiodischen Fall (d > 1) ergeben sich die Zeitkonstanten T1 und T2 zu

(9.148)

Tabelle 9.9: Charakteristische Kenngrößen eines PT2-Glieds im Laplace-Bereich
Größe Berechnung
Pole des PT2-Glieds liegen für 0 < d < 1 auf einem Kreis mit Radius 1/T
Natürliche Kreisfrequenz, Kreisfrequenz des ungedämpften Systems
Aufteilung des PT2-Glieds in zwei PT1-Glieder bei Dämpfungskonstanten d ≥ 1
mit Zeitkonstanten

Frequenzgang

Das PT2-Glied ist für d > 0 und T > 0 stabil. Der Frequenzgang des PT2-Glieds kann damit aus der Übertragungsfunktion G(s) durch die Substitution s = j⋅ω bestimmt werden.

(9.149)

Das PT2-Glied hat einen Amplitudengang von

(9.150)

Der Amplitudengang in dB ergibt sich zu

(9.151)

Der Amplitudengang a(ω) ist für K = 1 in Bild 9.53 dargestellt.

Bild 9.53: Amplitudengänge von PT2-Gliedern mit K = 1 und unterschiedlichen Dämpfungskonstanten d Aperiodischer Fall und periodischer Fall mit und ohne Resonanzüberhöhung

Für den aperiodischen Fall kann der Amplitudengang aus zwei PT1-Gliedern konstruiert werden. Die Interpretation des Amplitudengangs kann damit auf die des PT1-Glieds zurückgeführt werden. Die folgende Interpretation des Amplitudengangs konzentriert sich auf den periodischen Fall.

Der erste Summand ist der Amplitudengang eines Proportionalglieds. Für Frequenzen ω << 1/T kann bei dem zweiten Summanden die Abhängigkeit von Kreisfrequenz ω vernachlässigt werden. In dem Bereich ω << 1/T ergibt sich damit der konstante Amplitudengang

(9.152)

Für Frequenzen ω >> 1/T können im letzten Wurzelausdruck in Gleichung (9.151) die beiden ersten Summanden vernachlässigt werden. In dem Bereich w >> 1/T ergibt sich damit die Asymptote

(9.153)

Im Bereich ω >> 1/T fällt der Amplitudengang a(ω) mit - 40 dB/Dekade. Beide Asymptoten sind in Bild 9.53 eingezeichnet. An der Stelle ω = 1/T treffen die beiden Asymptoten aufeinander. Der Amplitudengang ist an dieser Frequenz von der Verstärkung K und der Dämpfung d abhängig. Er ergibt sich zu

(9.154)

beziehungsweise zu

(9.155)

Für geringe Dämpfungen d weist der Amplitudengang ein Maximum auf. Zur Berechnung der zugehörigen Frequenz ωr dieses Extremwertes wird die erste Ableitung zu null gesetzt.

(9.156)

Auflösen der Gleichung führt für d ≤ 1/√2 zu

(9.157)

Für Dämpfungskonstanten d > 1/√2 existiert keine Resonanzüberhöhung. An dieser Stelle beträgt der Amplitudengang

(9.158)

Der Phasengang eines PT2-Glieds errechnet sich zu

(9.159)

Der Phasengang eines PT2-Glieds mit positivem Verstärkungsfaktor K beginnt für Kreisfrequenzen ω << 1/T bei c = 0 und endet für Kreisfrequenzen ω >> 1/T bei φ = - π. An der Stelle ω = 1/T ergibt sich eine Phase von φ = - π/2. Bild 9.54 stellt den Phasengang des PT2-Glieds mit K = 1 und beliebiger Zeitkonstante T sowie unterschiedlichen Dämpfungen d dar.

Bild 9.54: Phasengänge von PT2-Gliedern mit unterschiedlicher Dämpfung d Aperiodischer Fall und periodischer Fall

Insbesondere im aperiodischen Fall mit einer Dämpfungskonstanten d = 4 kann die Überlagerung der Phasengänge zweier PT1-Glieder erkannt werden. Mit sinkender Dämpfungskonstante wird der Phasengang immer stufenförmiger. Außer den drei genannten Kenngrößen existieren jedoch keine griffigen Konstruktionsregeln für den Phasengang.

Tabelle 9.10: Charakteristische Kenngrößen eines PT2-Glieds im Frequenzbereich
Größe Berechnung
Asymptote a(ω) für ω << 1/T Konstanter Amplitudengang
Asymptote a(ω) für ω >> 1/T Signalabfall um - 40 dB/Dekade
Resonanzüberhöhung für
Resonanzfrequenz

Amplitudengang
Asymptote φ(ω) für ω << 1/T für K > 0
Phase φ(ω) für ω = 1/T für K > 0
Asymptote φ(ω) für ω >> 1/T für K > 0

Übergang zu anderen Übertragungsgliedern

Bei dem PT1-Glied wird ausführlich aufgezeigt, wie es durch Kombination mit einem I-Glied zu einem IT1-Glied und durch Kombination mit einem D-Glied zu einem DT1-Glied wird. Durch Kombination eines PT2- und eines I-Glieds ergibt sich entsprechend ein IT2-Glied mit der Übertragungsfunktion

(9.160)

und durch Kombination eines PT2- und eines D-Glieds ergibt sich ein DT2-Glied.

(9.161)

Beispiele für PT2-Glieder

Typische Beispiele für PT2-Glieder sind Feder-Masse-Dämpfer-Systeme und der RLC-Schwingkreise. Sie werden in den Übungsaufgaben behandelt.